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Donnerstag, 24. April 2014

Brandsatz Ukraine


Welches Spiel spielt Putin? 
Kann der Westen das überhaupt richtig einschätzen?

heute im Mittagsjournal 12.00 Ö1 ein hochinteressantes analytisches Gespräch, das Markus Müller mit der russischen Politologin Lilya Shevtsova führte.
Die Krise zwischen Russland und der Ukraine sei erst der Beginn einer Phase von politisch unruhigen Zeiten, warnt die Politologin. Der Maidan in Kiew sei für Putin nur der Anlass gewesen die internationale Ordnung in Frage zu stellen, nicht der Grund. Der Westen müsse sich jetzt überlegen, wie er mit dieser Herausforderung umgehe. 

Ukraine lieferte Vorwand für Putin

Das Zeitalter der internationalen Beziehungen, das nach 1945 errichtet wurde, ist vorbei. Wladimir Putin habe die Revolution in der Ukraine als Anlass genommen, dieses System, das er schon lange als ungerecht ansieht, auf den Kopf zu stellen, meint Lilya Shevtzsova, die für das Moskauer Carnegie-Center arbeitet. Für den Westen sei das eine Überraschung gewesen, in Russland selber hingegen nicht: "Der Kreml, also Putin, war darauf vorbereitet. In den letzten zwei Jahren hat er einen neuen repressiven Apparat aufgebaut der bis jetzt nur darauf wartete eingesetzt zu werden. Er brauchte nur einen Vorwand, um die Nation zu mobilisieren und hinter sich zu vereinen - eine Bedrohung von außen um den Angriff der Feinde abzuwehren. Der Maidan hat ihm das geliefert: ukrainische Faschisten, amerikanischer Imperialismus, verbunden mit den Vaterlandsverrätern in Russland selbst."

"Faktische bereits Bürgerkrieg"

Der Grund für die Krise liege in der Ukraine selbst. Alle Regierungen der letzten Jahre - auch die sogenannten demokratischen - hätten das Land ausgebeutet und heruntergewirtschaftet: Die Ukraine ähnle heute einem Failed State, der faktisch die Kontrolle über Teile des Landes verloren habe, etwa die Region Donezk. Unter diesen Bedingungen ordnungsgemäße Wahlen abzuhalten, sei nur schwer möglich - umso mehr, wenn der große Nachbar ständig für Unruhe sorge. Der Kreml betreibe hier aber ein gefährliches Spiel. "In letzter Zeit wird immer deutlicher, dass diese spontanen sogenannten Selbstverteidigungskräfte des Donbass nicht mehr bereit sind, ihren Kuratoren aus dem russischen Geheimdienst zu gehorchen. Sie sagen: Wir sind nicht bereit aufzugeben, aus den besetzten Gebäuden abzuziehen. Selbst wenn der Kreml seinen Spezialkräften befehlen sollte sich zurückzuziehen, bleiben dort Leute mit Kalaschnikows, mit Molotowcocktails, es gibt keine Ordnung und faktisch hat dort bereits ein Bürgerkrieg begonnen."

Zahlreiche Maßnahmen nötig

Kurzfristig habe der Westen jetzt sehr wenig Möglichkeiten zu reagieren. In den USA und Europa hoffe man immer noch, dass Putin wieder zum Pragmatiker werde, wenn man ihm nur eine Möglichkeit gebe, ohne Gesichtsverlust zu friedlichen Verhältnissen zurückzukehren. Der Kreml mache aber keine Anstalten, auf dieses Angebot einzugehen. Putin sei vielmehr zum Gefangenen seiner eigenen Propaganda geworden: Wenn er dem Westen jetzt nachgebe, stehe er vor der eigenen Bevölkerung als Schwächling da. Um darauf zu reagieren, sei ein ganzes Paket von Maßnahmen notwendig: "Erstens: Eine einheitliche Position, die es jetzt nicht gibt. Zweitens: Die Rückkehr der USA nach Europa. Drittens: Eine neue Aufgabe für die NATO - keine Bedrohung Russlands, aber Garantien für die Sicherheit in Osteuropa. Und schließlich: Stilllegung der korrupten Mechanismen, des Waschens von Geldern aus Russland, der Ukraine, Kasachstan - sie sind aus Österreich, sie wissen also wovon ich spreche."

So sehr sie es den Ukrainern wünsche, von einer schnellen Beruhigung der Lage sei nicht auszugehen. Lilya Shevtsova rechnet mit neuen Unruhen, möglicherweise einem neuen Maidan oder einen neuen Revolution in der Ukraine. Und für die Länder des Westens stelle sich jetzt die Frage, ob sie wirklich bereit seien, international für die Werte einzustehen, die sie immer predigen würden.

Quelle http://oe1.orf.at/artikel/373128  Gespräch Markus Müller-Schinwald